Die Auswahl eines geeigneten Modellversuchs wird durch den einzugehenden Kompromiß zwischen Übertragbarkeit auf den Realprozeß und meßtechnischer Zugänglichkeit erschwert. Der in dieser Arbeit vorgenommene Vergleich von Streifenziehversuchen (Flachbahn, Umlenkung und Ziehsicke) mit dem Ziehen eines rotationssymmetrischen Napfes und eines Realteils hat ergeben, daß der Streifenziehversuch in der Flachbahn sowohl die Untersuchung der durch die Topografie beeinflußten tribologischen Mechanismen ermöglicht als auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf komplexere Bauteile sicherstellt. Voraussetzung dafür ist die Einhaltung realistischer Beanspruchungsbedingungen wie Kontaktnormalspannung, Gleitgeschwindigkeit und Größe der Kontaktfläche.
Unter den tribologischen Kenngrößen hat sich besonders die
maximale Kontaktnormalspannung im Flachbahnversuch als geeignet erwiesen.
Sie ist ein Maß für die Reibung des Bleches unter einer hohen
Beanspruchung, die weitgehend den Bedingungen in komplexen Werkzeugen kurz
vor dem Bauteilversagen entspricht.
Auf die Höhe der Grenzreibung hat die Topografie keinen so großen
Einfluß wie auf die Ausbildung hydrodynamischer Effekte bei Mischreibung.
Die Eigenschaften der Topografie sind entscheidend dafür, wie deutlich
die Reibung mit zunehmender Gleitgeschwindigkeit absinkt. Zusätzlich
zum absoluten Niveau der Reibungszahl ist deshalb die Änderung
der Reibungszahl mit zunehmender Gleitgeschwindigkeit ein wichtiges Maß
zur Beschreibung des tribologischen Verhaltens von Topografien.
Zur Beurteilung und Auswahl der Oberflächenkenngrößen wurden die von der Topografie beeinflußten tribologischen Mechanismen in einem Reibmodell zusammengefaßt und beschrieben. Aus diesem Reibmodell läßt sich ableiten, unter welchen Bedingungen die tribologischen Mechanismen wirken und welche Eigenschaften die Topografie aufweisen sollte, um diese Mechanismen möglichst optimal zu unterstützen.
In der Diskussion mit Kollegen anderer Hochschulen und mit Partnern aus der Industrie hat sich gezeigt, daß für gleiche Eigenschaften unterschiedliche Begriffe und gleiche Begriffe für unterschiedliche Eigenschaften verwendet werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wurde im Rahmen dieser Arbeit ein Vorschlag zur einheitlichen Bezeichnung von Blechtopografien erarbeitet und mit verschiedenen Partnern abgestimmt. Diese Begriffe dienen zur verbalen Beschreibung der aus dem Reibmodell abgeleiteten Anforderungen an die Eigenschaften von Topografien.
Als die wichtigsten Kriterien haben sich Leere, Abgeschlossenheit und Feinheit der Topografie erwiesen. Diese bestimmen, zu welchen Anteilen in der Topografie hydrostatische Effekte in abgeschlossenen Schmiertaschen oder hydrodynamische Effekte an Flanken und Stufen der Oberfläche zur Senkung der Reibung beitragen können.
Zusätzlich zu den Begriffen werden Oberflächenkenngrößen
benötigt, mit denen die geometrischen Eigenschaften quantitativ anzugeben
sind. Für die Beschreibung der Leere (Materialanteil) reicht eine
einzelne Kenngröße nicht aus. Es werden mehrere Werte für
die Größe der Spitzen, Flächenanteile und Lage von Plateaus
sowie das Volumen der Täler benötigt. Zur Berechnung dieser Kenngrößen
sind keine 3D-Messungen erforderlich, da sie zu den gleichen Werten führen,
wie die an vertikalen Schnitten berechneten 2D-Kenngrößen.
Die Kenngrößen der Leere beinhalten keine Information darüber,
ob in der Oberfläche abgeschlossene Leervolumina vorhanden sind, in
denen hydrostatischer Druck aufgebaut werden kann. Abgeschlossenheit und
Feinheit lassen sich nur mit 3D-Messungen eindeutig beurteilen. Dazu stehen
bisher wenige echte 3D-Kenngrößen zur Verfügung. In dieser
Arbeit wurden deshalb weitere 3D-Kenngrößen definiert und hinsichtlich
ihrer Zusammenhänge zum tribologischen Verhalten überprüft.
Unter den Beanspruchungsbedingungen des Streifenziehversuchs haben sich die Kenngrößen
Man kann eine Modelloberfläche generieren, die alle Anforderungen
des Reibmodells weitgehend erfüllt. Mit den zur Zeit verfügbaren
Fertigungsverfahren sind aber die als günstig beurteilten schmalen
Grate, die leicht einglättende abgeschlossene Krater bilden,
nicht herstellbar.
Zur Beurteilung derzeit produzierbarer Topografien müssen die
Beanspruchungsbedingungen bekannt sein. Anhand der Beanspruchungsbedingungen
kann beurteilt werden, welche tribologischen Mechanismen nutzbar und welche
Kenngrößen einzusetzen sind.
Liegen in einem Ziehwerkzeug größere homogen beanspruchte
Bereiche, höhere Gleitgeschwindigkeiten und kurze Werkzeug-Kontaktzeiten
vor, dann können hohe Spitzen (Kenngröße Spk)
Makro-Quetschströmungen unterstützen. Die hohen Spitzen sollten
aber nicht gleichzeitig zu hohen Materialanteilen an der Basis der Spitzen
führen (Kenngröße Sr1), da diese die Einglättung
und damit die Ausbildung mikro-hydrodynamischer und mikro-hydrostatischer
Effekte behindern.
Mikro-hydrodynamische Effekte werden begünstigt, wenn ein großer
Anteil von Plateauflächen der Topografie mit der Werkzeugoberfläche
schmale Schmierspalte bilden kann. Dazu sollte die Topografie eine geringe
Kernrauhtiefe (Kenngröße Sk) aufweisen.
Bei deutlicher Einglättung der Topografie können mikro-hydrostatische
Effekte wirken, wenn eine abgeschlossene und leere Topografie vorliegt,
die sich durch einen hohen abgeschlossenen Leerflächenanteil (Kenngröße
aclm) auszeichnet.
Um auch bei starker Einglättung und hoher tribologischer Beanspruchung
eine ausreichende Schmierstoffreserve zur Verfügung zu stellen, muß
die Topografie ein Mindestvolumen aufweisen. Das geschlossene Leervolumen
(Kenngröße Vcl) und der Mittenrauhwert (Kenngröße
Ra) haben sich dafür als geeignete Maße herausgestellt.
Feine Topografien mit hohen 3D-Spitzenzahlen (Kenngröße
Nma(k)) und hohen Talzahlen (Kenngröße Nvo(p))
zeigen sowohl bei stochastischen als auch bei deterministischen Blechoberflächen
eher günstigeres tribologisches Verhalten, als grobe Blechoberflächen.
Die Ergebnisse aus den Streifenziehversuchen bestätigen die aus
dem Reibmodell abgeleiteten Anforderungen an die Topografien.
Die in der Oberflächenmeßtechnik üblichen Filtermethoden können zu deutlichen Verzerrungen der Meßdaten führen und berücksichtigen die spezifischen Anforderungen tribologisch beanspruchter Blechoberflächen nicht. Im Rahmen dieser Arbeit wurde deshalb das modifizierte Kugelfilter entwickelt, mit dem die Einglättung des Bleches durch den tribologischen Kontakt simuliert werden kann. Dieses Filter bietet die Möglichkeit, die Aussagekraft der Kenngrößen zu erhöhen.
Damit steht eine Auswahl von Kenngrößen und Filtern zur Verfügung, die eine differenziertere Beurteilung der Topografie von Blechen und ihres Einflusses auf die Reibung während der Umformung ermöglicht.