4.2 Modellversuche
Um die Ergebnisse des zweiten Teils der Befragung durch Experimente zu
ergänzen und zu überprüfen, wurden in den letzten Jahren
am Institut des Autors durchgeführte Streifenziehversuche ausgewertet
(Bild 14). In den aus allen vorliegenden Daten gebildeten Gruppen wurde
jeweils nur ein Parameter variiert. Die Versuchsbedingungen sind im Anhang
in Tabelle 30 aufgeführt.
Das Maß für den Einfluß einer Gruppe ist die maximal
erreichte Kontaktnormalspannung (Kapitel 6.1.1). Die Bedeutung ist aus
der Differenz des besten und des schlechtesten Versuchsergebnisses der
jeweiligen Gruppe errechnet.
Bild 14: Ergebnisse aus Streifenziehversuchen zu Einflußgrößen
auf die Reibung
Die Ergebnisse in der Gruppe Werkzeugbeschichtung und Werkzeugrauheit
wurden im Rahmen eines DFG-Forschungsvorhabens ermittelt [35]. Ziel dieses
Vorhabens war die Optimierung der Werkzeugbeschichtungen hinsichtlich der
Reibung. Zur Untersuchung lagen neben dem unbeschichteten GS 45 nach unterschiedlichen
PVD-Verfahren hergestellte Titan-Nitrid-Schichten vor. Man kann davon ausgehen,
daß der Einfluß der Werkzeugbeschichtung größer
ausfällt, wenn auch Schichtsysteme mit anderen Werkstoffen wie z.B.
CrN berücksichtigt werden. Die eingesetzten PVD-Beschichtungsverfahren
und die variierten Beschichtungsparameter haben neben Schichtaufbau und
Stöchiometrie auch zu unterschiedlicher Rauheit der Werkzeuge geführt.
Die Gruppe Schmierstoffe enthält die Ergebnisse von in Industrieaufträgen
untersuchten Prelubes verschiedener Schmierstoffhersteller mit Viskositäten
von 16 bis 100 mm²/s.
Zur Beurteilung der Schmierstoffmenge wurden 5 Bleche unterschiedlicher
Topografie jeweils mit 2 und 5 g/m² untersucht. Bei einem Blech war
kaum ein Einfluß der Schmierstoffmenge feststellbar, während
bei zwei anderen Topografien die erhöhte Schmierstoffmenge zu deutlich
höheren maximalen Kontaktnormalspannungen führte. Ausgehend von
diesen Ergebnissen waren die Zusammenhänge zwischen Schmierstoffmenge
und Topografie Thema des am Institut des Autors durchgeführten EFB-Forschungsvorhabens
"Schmierstoffminimierung" [77].
Die Beurteilung unterschiedlich verzinkter Bleche ist dadurch erschwert,
daß die Bleche nicht die gleiche Topografie aufweisen und daß
die Zink-Schicht die Topografie der Bleche zusätzlich verändert.
Die Topografie beeinflußt die Reibung deutlich, weshalb der Einfluß
der Zink-Schichten nicht unabhängig beurteilt werden kann. Unterschiede
innerhalb dieser Gruppe sind gering. Man kann davon ausgehen, daß
die Zink-Schicht für die Reibung weniger bedeutend ist. Im Vergleich
zu den anderen Gruppen ist dieses Ergebnis mit den größten Unsicherheiten
behaftet.
Zur Beurteilung der Blechreinigung wurde eine modulare Reinigungs-
und Beölungsanlage aufgebaut, die es ermöglicht, das Blech zunächst
mit Hochdruck (Wasser oder Öl) zu reinigen und anschließend
mit in unterschiedlicher Reihenfolge angeordneten Modulen zu trocknen.
Der größte Unterschied wurde zwischen der Modulanordnung mit
der gründlichsten Reinigung und Trocknung und dem ungereinigten Blech
ermittelt. Das ungereinigte Blech erreichte die höchsten Kontaktnormalspannungen.
Der Grund für dieses zunächst überraschende Ergebnis kann
in der aus der Reinigung resultierenden schlechteren Benetzbarkeit des
Bleches gesehen werden. Der nach der Reinigung aufgebrachte Ziehschmierstoff
haftet bei zu gründlicher Reinigung nicht so gut auf dem Blech wie
bei einer geringen auf dem Blech verbleibenden Restölmenge, die als
"Haftvermittler" dient.
Der Vergleich der Gruppen in Bild 14 zeigt die größte Bedeutung
für die Topografie. Die Unterschiede zum Schmierstoff und zur Schmierstoffmenge
sind aber so gering, daß dieses Ergebnis nicht überbewertet
werden darf.
Die Untersuchung der Topografien ergibt, daß der Unterschied
zwischen einer guten und einer schlechten Topografie etwa den gleichen
Einfluß ausübt wie die Steigerung der Viskosität von 16
auf 100 mm²/s. Bedenkt man, daß die Viskosität des Schmierstoffs
aufgrund von Anforderungen an Aufbringung und Reinigung nur in engen Grenzen
angepaßt werden kann, wird die Bedeutung der Topografie noch deutlicher.
Die Variation der Topografie ist nach verschiedenen Ergebnissen in
der Literatur durch den Kompromiß zwischen günstigen tribologischen
Eigenschaften und Lackierbarkeit eingeschränkt. Die Bleche, die in
dieser Versuchsreihe die höchsten Kontaktnormalspannungen erreichten,
weisen aber neben hohen Spitzenzahlen bzw. niedrigen Rauheitswerten auch
eine geringe Welligkeit auf, was auf gute Lackierbarkeit schließen
läßt. Das deutet darauf hin, daß Blechtopografien gleichzeitig
hohe Anforderungen bezüglich der tribologischen Eigenschaften und
der Lackierbarkeit aufweisen können.
Folgerung
Sowohl die Befragung als auch die Modellversuche zeigen, daß
die Topografie des Bleches zumindest ein ebenso großes Potential
zur Optimierung des Ziehprozesses bietet wie der Schmierstoff und die Werkzeugbeschichtung.
Um die Möglichkeiten nutzen zu können, sind zum einen geeignete
Modellversuche zur Beurteilung des tribologischen Verhaltens und zum anderen
funktionsorientierte Oberflächenkenngrößen nötig.